
Blog Artikel #6
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Warum es auch im Job wichtig ist, seine Bedürfnisse ehrlich wahrzunehmen und zu kommunizieren.
„Hast du Lust eine Runde durch den Wald zu drehen?“ Dies habe ich früher oft am Abend zu meinem Mann gesagt. Meistens sind solchen Waldrunden Ereignisse im Job vorausgegangen, die mich innerlich haben überschäumen lassen - vor Wut, Angst, Hilflosigkeit oder gar Traurigkeit.
Also: Wanderschuhe an, laufen, reden und Adrenalin abbauen. Danach ging es mir für den Moment meist besser.
Bestenfalls konnte ich für mich eine Entscheidung treffen, wie ich weitermachen will. Mein Adrenalinspiegel sank, so dass ich das Gefühl hatte, für den nächsten anspruchsvollen Arbeitstag gerüstet zu sein.
Oft genug war das Gedankenkarussell aber nur kurzfristig beruhigt: Zweifel darüber, wie ich mich im konkreten beruflichen Kontext und meiner Rolle entsprechend eigentlich verhalten müsste, gingen mitunter weiter. Ebenso das Schielen auf Andere, wie sie solche Situationen regeln würden.
Wichtige Hinweise
Was ich damals noch nicht wusste: Die Gefühle, die ich wahrnahm und mitunter gerne schnellstmöglich abgeschüttelt hätte, sollten mir einen wichtigen Hinweis auf meine unerfüllten Bedürfnisse liefern. Auf Bedürfnisse, die Teil meiner Persönlichkeit sind und so sein dürfen. Um deren Erfüllung ich bitten darf - damit das Miteinander besser gelingt.
Im Laufe der Zeit habe ich mich nicht nur als Systemischer Coach ausbilden lassen, sondern bin auch auf das Konzept der „Gewaltfreien Kommunikation“ (GFK) von Dr. Marshall Rosenberg aufmerksam geworden. Ein häufig verwendetes Synonym ist die „Einfühlsame Kommunikation“.
Die GFK ist mit vier konkreten Schritten praxisnah und kommt weltweit, in den unterschiedlichsten Situationen zum Einsatz - so auch, um das Miteinander im Job besser zu gestalten. Wie das?
Hier ein ein einfaches Beispiel:
Du bist irritiert, weil du gesehen hast, dass eine Kollegin ein Meeting durchgeführt hat. An diesem hättest du gerne teilgenommen, weil du mit deinen Kompetenzen und deinem Fachbereich einen wichtigen Beitrag hättest leisten können.
Wenn du das Gespräch mit der Kollegin suchen willst, könntest du dieses mit den vier GFK Schritten vorbereiten - am Anfang auch schriftlich. Damit erhältst du eine Art Gesprächsleitfaden.
Vorab folgender Hinweis: Die schematische Auflistung mutet etwas künstlich an. Hier hilft Routine, damit sich die vier Schritte flüssig in deine Kommunikation einfügen. In dem hier vorgestellten Verlauf, äußerst du dich ehrlich über dein eigenes Befinden. Ebenfalls möglich wäre emphatisches Zuhören, um herauszufiltern welche Gefühle und Bedürfnisse dein Gegenüber bewegen. Dafür können die vier Schritte, dann mit passenden Fragestellungen, auch genutzt werden.
Deine Vorbereitung (hier stark verkürzt) könnte nun wie folgt aussehen:
1. Deine Beobachtung
Formuliere das, was du gesehen, gehört oder konkret erlebt hast frei von Bewertung oder Vorwürfen. Damit schaffst du eine faktenbasierte Grundlage.
„Ich habe in der Konferenzraumübersicht gesehen, dass du zum Thema x am Tag y ein Meeting durchgeführt hast, das auch meinen Fachbereich betrifft. Ich habe festgestellt, dass ich dazu keine Einladung bekommen hab.“
2. Deine Gefühle
Bitte habe im Hinterkopf, dass das Verhalten der anderen Person der Auslöser für deine Gefühle ist, aber nicht die eigentliche Ursache!
Formuliere daher schlicht, welche Gefühle dadurch bei dir ausgelöst werden - frei von Vorwürfen. Dies ist keinesfalls Gefühlsduselei. Es schafft Klarheit und dient der Sache. Achte darauf, dass du das Gefühl klar benennst. Hierzu liefert der Ansatz der GFK noch viel Detailwissen. Für den Moment soll als kleine Gedankenstütze helfen: Hilfsformulierungen wie „ich fühle xy“ können weggelassen werde. Einfach das Gefühl direkt benennen.
„Ich bin irritiert und auch ein wenig verärgert.“
3. Deine Bedürfnisse
Mit der Formulierung deiner Bedürfnisse gibst du die Gelegenheit, sich in deine persönliche Situation weiter einzufühlen. Denn du benennst die Ursache, deiner Gefühle. Diese Bedürfnisse sind stabil und unabhängig von der konkreten Situation oder der anderen Person. Sie werden dir vermutlich schon oft begegnet sein.
„Denn mir ist es wichtig mit meiner Kompetenz wahrgenommen zu werden. Auch Teamgeist und Effektivität in der (abteilungsübergreifenden) Zusammenarbeit sind für mich sehr wichtig.“
4. Deine Bitten (die nicht erfüllt werden müssen)
Formuliere deine Bitten klar anhand konkreter Handlungen, damit deine Bedürfnisse bestmöglich erfüllt werden. Damit wird zudem klar, dass es dir nicht um eine nachträgliche Abrechnung geht, sondern um euer Miteinander in der Zukunft. Nicht als „verkleidete Forderung“ formuliert, wird es deinem Gegenüber, aufgrund der zuvor gebotenen Möglichkeit sich einzufühlen, leichter fallen, dem nachzukommen.
„Kannst du mir sagen welche Ergebnisse erzielt wurden? Wenn es ein Protokoll gibt, bitte ich dich, mir dieses zuzusenden. Außerdem möchte ich dich bitten, mich bei einem erneuten Meeting zu dem Thema, ebenfalls einzuladen. Ist dies für dich möglich?“
So gelingt Kommunikation auf Augenhöhe - aller Hierarchien zum Trotz. Es bedarf etwas Übung, sowohl die Gefühle verantwortungsbewusst anzunehmen als auch die dahinter liegenden Bedürfnisse aller zu identifizieren und entsprechend zu kommunizieren. Aber es ist machbar - einfach mal ausprobieren!
Als Christin ist es übrigens kein Egoismus, seine Bedürfnisse zu erforschen und diese vorzutragen. Gott fordert uns in der Bibel zu einem wertschätzenden Miteinander auf. Er will, dass wir klar und gleichzeitig emphatisch für unsere Mitmenschen sind. Dass wir den anderen achten und nicht bekämpfen. Immer in dem Bewusstsein, dass ich ein von Gott geliebtes Kind bin. Mit meiner Persönlichkeit und individuellen Bedürfnissen, für deren Wohlbefinden ich selbst Verantwortung trage.
Meine Erfahrung: Wenn ich bei der Kommunikation meiner Gefühle und Bedürfnisse im Vertrauen aussäe, darf ich in aller Regel viel ernten. Ehrlich eingesetzt, fördert dies im Arbeitsalltag einen tiefgründigeren und schnelleren Austausch, der zudem eine Grundlage für ein vertrauensvolles Miteinander ist. Was für ein Geschenk!
Quelle:
Dieser Text von Carmen Gladhofer ist erschienen in: JOYCE (1/24)@joyce_magazin (Zeitschrift des SCM Bundes-Verlags www.bundes-verlag.net)
Lesezeit ca. 5 Minuten
Erstellt am 1.2.2024